Jean
kommt in die erste Klasse, doch die Schule entwickelt sich für ihn
eher zu einem Graus als zu einem Ort von Freude, was zum einen an
seiner alten Lehrerin, zum anderen an den Klassenkameraden liegt, die
mit ihm nicht viel zu tun haben wollen. Glücklicherweise
kommt ein anderer Junge, der niemanden kennt, in die Klasse, und so
hat Jean in Alain wenigstens einen Freund.
Jean
und sein Bruder Paul leben bei ihrem Vater – ihre Mutter, das
wird den beiden zumindest gesagt, ist schon seit langem auf Reisen,
so dass sie nur noch blasse Erinnerungen an ihre Mutter haben. Um die
beiden Kinder kümmert sich das reizende Kindermädchen
Yvette, die Jean und Paul über alles lieben. Sie träumen davon, dass
Yvette ihre Mutter wäre, doch diese wehrt sich jedes Mal, wenn sie sie
Mutter nennen.
Michèle,
das zwei Jahre ältere Nachbarsmädchen, spielt mit Jean immer
nur, wenn niemand anderes dabei ist – andernfalls schämt sie sich,
mit einem kleinen Jungen die Zeit zu verbringen. Und Michèle ist es
auch, die irgendwann damit beginnt, Jean erfundene
Postkarten von seiner Mutter vorzulesen. Weil Jean ja noch nicht
lesen kann, merkt er das nicht. Die Mutter schreibt aus der Schweiz,
dass es dort geschneit und sie eine Kuckuchsuhr gekauft
hätte, dass sie Jean vermisst – und eines Tages auch davon, dass sie
in Amerika ist:
Lange
versteht Jean nicht, was mit seiner Mutter wirklich los ist, und er
wundert sich, dass alle Erwachsenen (vor allem die Freundinnen
seiner Oma) ihn immer tätscheln und bemitleiden … Erst am Ende des
Buches beginnt er zu ahnen, wie es um seine Mutter steht.
Doch bis dahin ist es ein langer Weg, bei dem Jean u. a. auch zum
Psychologen der Schule geschickt wird.
“Meine
Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen”
(Übersetzung: Kai Wilksen) ist eine einfühlsame Geschichte, die
davon erzählt, wie einem 6-Jährigen verschwiegen wird, dass seine Mutter
tot ist. Das Tolle an dem Buch ist, wie authentisch alles
aus der Sicht eines Jungen berichtet wird: Wie er sich darüber
wundert, dass die Erwachsenen ihn so komisch behandeln, wie er sich so
sehr eine Mutter wünscht, wie er sich bei den
Großeltern-Besuchen langweilt u. v. m. Als Leser darf man da auch
mal lachen – z. B. wenn sich Jean über die stinkenden Füße seines
Großvaters mokiert, sobald dieser seine
Schuhe auszieht.
Die
Illustrationen von Émile Bravo sind liebevoll und kindgerecht und
passen bestens zur kindlichen Erzählweise der Graphic Novel. Die
Hintergrundfarben der 14 Kapitel wechseln ständig und sind eher gedeckt
als grell gehalten. Doch auch das fügt sich in den eher
traurigen Grundtenor des Buches.
Sprechblasen mit Text sind findet man in Regnaud und Bravos Buch übrigens
eher selten. Die Bilder enthalten meist einen beschreibenden Text, der die Geschichte aus Jeans Sicht erzählt.
5 von 5 Punkten.
“Meine Mutter ist in Amerika und hat
Buffalo Bill getroffen” ist ein Buch für Jung und Alt: für Kinder
von 6 bis 8 Jahren eher zum gemeinsamen Lesen und Anschauen, für die ab
10-Jährigen auch zum Selberlesen – und schließlich
für Erwachsene, die sich unterhaltsam für eine Stunde in die
Kindheit versetzen wollen. Sehr behutsam wird beschrieben, wie ein Kind
es erlebt, ohne Mutter aufzuwachsen, ohne von den Erwachsenen
darüber aufgeklärt worden zu sein.
Es
ist wie beim Weihnachtsmann: Erst irgendwann merkt Jean, dass seine
Mutter tot ist – genauso wie er irgendwann im Verlauf des Buches
mitbekommt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Mit den
Illustrationen ist das Buch von Jean Regnaud und Émile Bravo eine
runde Sache.
Source: Jugendbuchtipps.de
Auteur: Ulf Cronenberg, 02.07.2009
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